Materialteil zu Jonas Evers Artikel „Querdenken“

Interview mit Oliver Tief, Wortführer der Gruppe „Querdenken 446“ in Jever

Die Fragen stellte Jonas Evers (Q2) am 22. 01. 2021. Entsprechend den Richtlinien der Pandemieverordnungen fand dieses Interview lediglich virtuell statt. Aus Gründen der journalistischen Sorgfalt und zur Kontextualisierung einzelner im Artikel verwendeter Passagen ist das Interview hier in voller Länge zu lesen.

Bloody Mary: Sie sind Hauptsprecher und Organisator der Querdenker in Jever. Aus welchem Anlass fanden auf dem Alten Markt Kundgebungen statt? 

Oliver Tief: Ein wichtiges demokratisches Grundrecht ist in Artikel 8 des Grundgesetz verankert. Demnach kann jeder seine Kritik z.b. gegen die Regierung durch Versammlungen zum Ausdruck bringen. Dieses Recht nimmt Querdenken wahr und kritisiert die Maßnahmen der Regierung, die aus unserer Sicht unverhältnismäßig und rechts- sowie verfassungswidrig die Rechte der Bürger einschränkt. 

BM: Wie kam es dazu? 

OT: In der öffentlichen Berichterstattung fehlt ganz klar das Thema Menschenrechtseinschränkungen. Die Menschenrechte waren nicht ohne Grund nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben worden. Zu dem damaligen Zeitpunkt blickte man auf den dunkelsten Teil der Geschichte zurück – man wollte etwas für Krisenzeiten haben, damit sich so etwas nie mehr wiederholt. Nun haben wir eine Krise und jetzt soll es gut und richtig sein, so einen Wegweiser zu ignorieren? 

Ein weiteres wichtiges Ereignis war, als in Berlin Menschen von der Polizei abgeführt wurden, weil das Zeigen des Grundgesetzes als verbotenes politisches Statement angesehen wurde. Solche Entwicklungen sind wirklich sehr bedenklich in diesem Land. Das Grundgesetz ist neutral und keine politische Äußerung. Es ist gültig und bindend für alle Menschen in Deutschland. Egal wo dieser Mensch politisch, religiös, sozial oder anderweitig verortet ist. 

BM: Warum finden die Kundgebungen nicht mehr statt? 

OT: Als Neuling im Bereich politischer Aktivitäten haben wir Querdenker im letzten Jahr auch viel Neues lernen müssen. Im Sommer dachten wir noch, dass das inhaltlich alles doch so klar ist. Wir dachten auch, dass andere Menschen nur den Mut brauchen, für die Menschenrechte auf die Straße zu gehen, und die rasch wachsende Größe der Bewegung schien dies auch zu bestätigen. Menschlichkeit, Frieden und Freiheit sind doch höchste Werte für das menschliche Miteinander? Nach vielen Monaten Einsatz haben wir bemerkt, dass eine Pause auch eine Möglichkeit bietet. In dieser Pause haben andere Menschen auch die Zeit zu reflektieren, ob da momentan in der Gesellschaft nicht das Gegengewicht zur verbreiteten und durchgesetzten Politik fehlt.
Viele Leute sind inzwischen ins Nachdenken gekommen, es reicht nicht, wenn nur wir unseren Protest artikulieren. Jetzt sind z.B. auch die Gerichte am Zug, und die bewegen sich inzwischen. Etwa das Amtsgericht Weimar hat am 11.1.2021 ein aufsehenerregendes Urteil gefällt. Der Beklagte hatte sich mit 7 weiteren Personen getroffen und damit gegen die Coronaverordnung Thüringen verstoßen. Trotzdem spricht das Gericht ihn frei und begründet das mit der Verfassungswidrigkeit der Coronaverordnung. Es übernimmt weitestgehend die Argumente unserer Bewegung. Nachzulesen unter https://openjur.de/u/2316798.html 

BM: Was ist das mittel- oder langfristige Ziel der Querdenker (bundesweit und in Jever)? 

OT: Ich hoffe ganz stark, dass heute in der Schule auch Medienkompetenz vermittelt wird. Zu den Zielen der Querdenken-Bewegung nenne ich einfach mal die Suchwörter: „Querdenken“ und „Manifest“. Ich habe das Suchergebnis auch als Anhang beigefügt. (Suchergebnis: https://querdenken446.de/)

BM: Wer sind die Querdenker und was können ihre persönlichen Beweggründe sein? 

OT: Die querdenkenden Menschen sind so wie das Wort quer es ausdrückt – ein Querschnitt der Gesellschaft. Querdenker können weder mit der Hufeisentheorie noch mit „Klassen“ kategorisiert werden. Wir Querdenker sind Menschen aus allen Richtungen und jeder ist willkommen – man könnte es als wirklich gelebte Inklusion beschreiben. Und genau dieses sind auch die gemeinsamen Beweggründe. Uns Querdenkern sind die Menschenrechte nicht nur als Text wichtig. Wir wollen mit jedem Menschen auf Augenhöhe umgehen und dieses verbindet uns. 

BM: Die Querdenker stellen sich in der Interpretation von z.B. Fallzahlen gegen die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung. Woran liegt das? 

OT: Wir beziehen uns immer auf die offiziellen Zahlen der WHO, des RKI, der Gesundheitsämter und auf die weltweit veröffentlichten Studien renommierter Wissenschaftler. Wissenschaft ist mitnichten ein Mehrheitsentscheid, sondern kann nur faktenbasiert zu Erkenntnissen gelangen. Da es verschiedene wissenschaftliche „Interpretationen“ gibt, wollen wir Querdenker, dass alle Seiten in der Beurteilung der Daten und Fakten berücksichtigt werden. Es stellt sich zudem die Frage, wie die „wissenschaftliche Mehrheitsmeinung“ als solche belegt ist. Gab es dazu wissenschaftliche Studien, die genau belegen, ob die publizierte Meinung zum Coronathema auch wirklich in der Wissenschaft eine Mehrheit hat? Wie gelangt man zu der Erkenntnis, dass es eine Mehrheitsmeinung gibt? Und wenn es sie geben sollte, wäre diese dann „nur“ wegen einer Mehrheit automatisch auch richtig? Immerhin werden deutschlandweit derzeit etwa 83 Mio. Bürger in ihren Grundrechten erheblich eingeschränkt. Hunderttausende, überwiegend gesunde Menschen, sind in Quarantäne. Und das bei einer Pandemie, die für mehr als 99,9% der Bevölkerung nicht tödlich endet. Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit? Diese Eingriffe durch die Maßnahmen verlangen Antworten auf die Frage, auf welcher wissenschaftlichen Basis diese Grundrechtseinschränkungen begründet sind. Bisher ist die Regierung der Beantwortung dieser Fragen nicht nachgekommen. Dies soll sich ändern und ist auch eine unserer Grundkritiken. 

Ich zitiere hier aus dem bereits oben erwähnten aktuellen 20 seitigen Urteil des Weimarer Gerichts vom 11.01.2021 (6 OWi – 523 Js 202518/20). 

„Nach dem Gesagten kann kein Zweifel daran bestehen, dass allein die Zahl der Todesfälle, die auf die Maßnahmen der Lockdown-Politik zurückzuführen sind, die Zahl der durch den Lockdown verhinderten Todesfälle um ein Vielfaches übersteigt. Schon aus diesem Grund genügen die hier zu beurteilenden Normen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Hinzu kommen die unmittelbaren und mittelbaren Freiheitseinschränkungen, die gigantischen finanziellen Schäden, die immensen gesundheitlichen und die ideellen Schäden. Das Wort „unverhältnismäßig“ ist dabei zu farblos, um die Dimensionen des Geschehens auch nur anzudeuten. Bei der von der Landesregierung im Frühjahr (und jetzt erneut) verfolgten Politik des Lockdowns, deren wesentlicher Bestandteil das allgemeine Kontaktverbot war (und ist), handelt es sich um eine katastrophale politische Fehlentscheidung mit dramatischen Konsequenzen für nahezu alle Lebensbereiche der Menschen, für die Gesellschaft, für den Staat und für die Länder des Globalen Südens.“ 

Dies ist die Schlussfolgerung eines deutschen Gerichtes. Diese Erkenntnisse waren vielen Querdenkern und anderen kritischen Menschen bereits im Mai letzten Jahres ersichtlich und hat uns auf die Straße bewegt. Alle wissenschaftlichen Gegendarstellungen wurden als Schwurbel oder Verschwörungstheorie bezeichnet. Dass die Regierung reine politische Entscheidungen getroffen hat, sollte durch die letzten Bundespressekonferenzen sowie dieses Urteil und auch viele andere Gerichtsbeschlüsse und Studien jedem Bürger klar machen, dass hier einiges falsch gelaufen ist und nun eine Zeit der Heilung beginnen muss. Die Schäden an der Gesellschaft sind jetzt schon kaum zu überblicken und werden uns leider noch viele Jahre beschäftigen. 

BM: Was passiert mit den Spendengeldern, die hier in Jever eingesammelt wurden? 

OT: Die Organisation einer Demonstration kostet Geld. Damit das auch weiterhin möglich ist, schenken Menschen hierfür Geld. Falls von diesem Geld momentan etwas übrig bleiben sollte, legen wir es erst mal für zukünftige Aktionen zurück und verwenden diese zudem für juristische Vorgänge. Sollten wir alle irgendwann mal wieder ein normales Leben führen können, dann würde ein eventuelles Guthaben für einen anderen guten Zweck gespendet werden. Da sind wir für gute Vorschläge zur Verwendung offen. 

BM: Wie stehen die Querdenker zum Vorwurf, sich in einer Filterblase zu befinden? 

OT: Diesen Vorwurf kann ich nicht bestätigen. Wir Querdenker kritisieren offene Fragen zu bisher wissenschaftlich unbegründeten Maßnahmen. Damit gehen wir an die Öffentlichkeit, damit jeder unsere Kritik selbst prüfen kann. Unsere Erkenntnisse bekommen wir einerseits durch das Narrativ der Bundesregierung, der Medien und andererseits aus öffentlich zugänglichen Quellen. Dies ist auch im Grundgesetz des Artikel 5 verankert. Wir Informieren uns allseitig und umfassend. Der freie Meinungsaustausch ist konstitutiv für eine Demokratie, das bedeutet, dass verschiedene Aspekte zu Wort kommen müssen und es nicht reicht, wenn alle Medien unisono berichten. 

BM: Im Bundestag wird Querdenker-Vokabular („Corona-Diktatur“, „Maulkorb“) vor allem von der AfD verwendet. Wird die Annäherung von Ihrer Seite erwidert? 

OT: Nur weil eine Partei zu gleichen Erkenntnissen gelangt, müssen wir politisch nicht einer Meinung sein. Die Querdenken-Bewegung ist ein breites Spektrum von Menschen aus allen sozialen und politischen Richtungen. Bei Querdenken wird, wie oben bereits beantwortet, kein Mensch ausgeschlossen. Es gibt auch Anhänger der Grünen, der Linken und auch von SPD, CDU und FDP bei den Querdenkern. Allerdings haben sich diverse von ihnen auch schon von ihren ursprünglichen Parteien abgewendet. Eine Faktenbasierte und wissenschaftliche Evidenz darf allerdings nicht durch politische Gesinnung ignoriert werden. Alle Seiten sollen in einer Demokratie angehört werden. Dies sollte objektiv und wertfrei geschehen. Die Fragestellung deutet hier auf Abneigung und Diffamierung einer gewählten und zugelassenen Partei des Bundestages hin. Auch wenn wir inhaltlich mit der AFD nicht übereinstimmen, kann ich mich als Demokrat nur dagegen aussprechen dass Menschen, die anders denken, verächtlich gemacht werden. Dies ist verfassungswidrig, demokratiefeindlich und intolerant. 

BM: Wie werden die Querdenker in den Medien dargestellt? Würden Sie gerne anders porträtiert werden? 

OT: Wenn in der breiten Öffentlichkeit der Inhaltliche Austausch mit den Menschen, nicht nur mit den Querdenkern, wieder wertfrei und sachlich geführt würde, hätten wir einen großen Demokratiegewinn erreicht. Die Gesellschaft und die Demokratie können nur im Dialog und durch Zwischenmenschlichkeit existieren. Nur wen, ich den anderen verstehen möchte, ist ein Miteinander möglich. Die Ablehnung und Ausgrenzung anderer Meinungen ist totalitär und menschenunwürdig. Wir müssen immer für die Sache streiten, um die Demokratie zu erhalten. Argumente müssen in der öffentlichen Debatte ad rem (auf die Sache), nicht ad personam (auf die Person) zielen. Dahin muss die Bundesregierung und dahin müssen auch die Medien zurückfinden. Es kommt ein wenig das Gefühl auf, dass die Medien nicht wussten und wissen, wie sie mit Querdenkern umgehen sollen. Das Statement von Rainald Becker in den Tagesthemen am 06.05.2020 nach der ersten Großdemonstration in Stuttgart empfand ich als befremdlich. Die beleidigenden und abwertenden Worte von Herrn Becker entsprachen keiner objektiven Realität. Eine objektivere Berichterstattung im Allgemeinen ist wünschenswert – bei der der Bewertungs- und Meinungsanteil in Nachrichten auf ein Minimum reduziert wird. 

BM: Vielen Dank für das Gespräch!