Brauchen Staaten Musikzensur?

Ein Essay aus dem Musikunterricht

von Leonhard Hülsmann (Kl. 10)

Bereits 370 vor Christus erkannte Platon die Bedeutung der Musik in Bezug auf die Erziehung der Gesellschaft und schlug deshalb vor, dass nur noch kriegerische und friedliche Musik erlaubt, sogar bestimmte antike Tonarten verboten sein sollten, weil sie Trauer, Trägheit und Trunkenheit übermitteln würden.

Der griechische Philosoph Platon in Stein gemeißelt; Bild: commons.wikipaedia.com

In der Vorstellung seines „Idealstaats“ sollten Dichter, Tonarten und sogar Instrumente verboten werden, wenn diese nicht mit den ethischen Vorgaben dieses Staates übereinstimmten. Als Hauptideal benannte Platon das Kriegertum, damals nur auf die Männer bezogen. Historisch gesehen war es von Nöten, dass ein Stadtstaat sowohl über ein weit verbreitetes Handelsnetz verfügte als auch jederzeit in den Krieg ziehen, bzw. die eigene Stadt verteidigen konnte.

In der Musik sah Platon die Gefahr, an dieser in seiner Sicht notwendigen und festen Ordnung, also vor allem starke Krieger heranzuziehen, zu rütteln und zum Einsturz zu bringen, wenn die Musik nicht bestimmten Regeln unterworfen werden würde. Seinen Überlegungen zufolge würden Veränderungen in der Gesellschaft am ehesten in der Kunst ihren Anfang nehmen, und da Musik verbreitet unter dem Volk war, entsprang ihr auch die Gefahr eines gesellschaftlichen Umsturzes oder einer Destabilisierung des staatlichen Gewaltmonopols.

Auch heute noch wird Musik in manchen Staaten zensiert. Die Frage ist nun, ob das auch wirklich nötig ist. Nun, vor allem kommt es wohl auf den Staat an, aber auch darauf, wie man sein Volk zu regieren gedenkt und was für Ziele man verfolgt. Erst anhand dieser Kriterien kann man entscheiden, ob ein heutiger Staat Musikzensur durchsetzen muss, um seine Macht zu sichern.

In Deutschland braucht es keine Musikzensur, um die Macht des Staates über das Volk zu sichern, und es wäre heute wohl auch nur noch bedingt durchführbar. Dafür ist die deutsche Gesellschaft bereits zu divers geworden, das Internet zu weit verbreitet. Die einzige existente Musikzensur in Deutschland betrifft verfassungsfeindliche Musik, die dann auf einen Index gesetzt wird. Dazu gehört bspw. Rechtsrock mit rassistischen Aussagen.

Doch handelt es sich hier zum einen nicht um eine Zensur von Tonarten oder Melodien, sondern um eine Zensur des Inhalts, wie es auch bei jeder anderen verfassungsfeindlichen Aussage, unabhängig vom Medium, der Fall wäre. Zum anderen wird diese Entscheidung von einer überwiegenden Mehrheit der Deutschen unterstützt; bis auf eben jene Extremisten, die wahrscheinlich selbst solche Musik produzieren bzw. konsumieren und deshalb nicht mit dieser Art von verfassungsschützender Zensur übereinstimmen.

Und dennoch, trotz dieser immensen Diversität von Musik, ist der Staat noch immer als Autorität anerkannt. Wie kann das sein? Nach Platon müsste die deutsche Gesellschaft immer weiter auseinanderdriften, könnte keine Einheit mehr herstellen und würde sich vor allem nicht mehr von einer allgemein anerkannten Instanz regieren lassen. Schließlich war Platon besonders um den Machtverlust des Staates besorgt, wenn man der Musik keine Grenzen setzt.

Der Schlüssel zu diesem so widersprüchlichen Ergebnis liegt wohl darin, dass Deutschland eine Demokratie ist, in der alle Macht vom Volke ausgeht. Zwar waren auch die Stadtstaaten im alten Griechenland Demokratien, doch die Demokratie hat sich in den fast zweieinhalb Jahrtausenden seit dem Platon seine Ansichten niedergeschrieben hat, stetig gewandelt. Zudem erscheint die Einwohnerzahl eines Stadtstaates sehr gering im Vergleich zu den 83,24 Millionen Einwohnern in Deutschland zu sein. Damals konnten sich gar nicht so viele kleine heterogene Gruppen aus einem gemeinsamen Kulturursprung entwickeln, weshalb selbst kleinste Veränderungen in der engen Gesellschaft zu Platons Zeiten Uneinigkeit und damit einhergehender Schwäche als Stadtstaat bedeuteten.

In Deutschland bedeutet die allgemeine liberale Demokratie einen Vorteil für jeden einzelnen, sei es im sozialen, wirtschaftlichen oder privaten Bereich. Warum also an einer Ordnung rütteln, die meine Rechte im Grundgesetz heilig spricht und mir grundsätzlich gestattet zu tun und lassen was ich möchte, solange ich dabei keine Gesetze verletze, die von von mir gewählten Vertretern verabschiedet wurden?

Die Gesellschaft mag untereinander zu bestimmten Themen verschiedener Meinung sein, aber als ganzes stimmt sie, bis auf ein paar Extreme, darin überein, dass der Staat für sie Sorge trägt und deshalb gut ist. Das zeichnet sich auch in der Erziehung bei so simplen Dingen, wie die Gurtpflicht im Auto, das Warten auf die grüne Ampel und im Notfall die Polizei zu rufen, ab. Es wird eine Art Urvertrauen in die Regeln, die die Gesellschaft lenken, aufgebaut, ohne welches man merkwürdig erscheint. Und das Beste daran ist, dass es nicht einmal so gedacht ist und keiner diese Werte lenken muss: Die Gesellschaft kennt es nicht anders, sie macht es einfach, weil es nach ihren Werten sinnvoll und logisch erscheint.

Trotzdem gibt es noch immer Staaten, die Musikzensur oder Zensur im Allgemeinen für notwendig halten, um das Volk zu kontrollieren. Diese Staaten sind meistens autoritär. Bedeutet, es hat nur einer, eine Gruppe oder eine Ideologie bzw. Religion das Sagen. Opposition ist nicht existent, sondern wird verfolgt, alles was mit ihr in Verbindung in gebracht wird, wird verboten oder eingeschränkt. So auch die Kunst-, Meinungs- oder Informationsfreiheit.

Denn wenn niemand irgendein Medium nutzen kann, um Nachrichten gegen den Staat zu verbreiten, dann gibt es offiziell auch niemanden, der das tut. Das Volk wird verunsichert und von Propaganda überhäuft, Einzelpersonen in ihrem Glauben verstärkt, dass sie mit ihren oppositionellen Gedanken allein sind und auf diese Weise vom Handeln abgehalten.

Es kommt also ganz darauf an, um was für einen Staat es sich handelt. Will man seine Bürger in Freiheit oder in Furcht leben lassen? Das ist hier die Frage.

Natürlich kann man auch noch weitergehen, als es nur bei der Fragestellung zu belassen, ob ein heutiger Staat Musikzensur braucht. Man könnte weiter fragen, ob es überhaupt möglich ist, allein anhand von bestimmten Tonarten, unabhängig vom Text, das Volk in der von Platon angestrebten Art und Weise zu beeinflussen.

Kann man jemanden nur, indem man ihm bestimmte Tonarten gestattet zu hören, zu einem Krieger, einem Feigling, einen Dichter oder einen Philosophen heranziehen? Kommt der Musik wirklich ein so großer Teil der Erziehung zu, dass ein Staat seine begrenzten Ressourcen darauf verwenden sollte, sie zu zensieren, zu kontrollieren, sie zu uniformieren?

Das ist eine andere Frage, für ein anderes Mal.

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