Hühnersaurier?

Zur umgekehrten Evolutionsforschung an Vögeln

von Sweja Boekhoff (EPh)

Artikel „Hühnersaurier?“, gelesen von Sweja Boekhoff (EPh)

Schon seit Jahrzehnten ist die Menschheit fasziniert von der Idee eines lebendigen Dinosauriers. So sehr sogar, dass durch diese Faszination eine der weltweit bekanntesten Filmreihen (Jurassic Park) entstanden ist.

Mögliches Aussehen des Velociraptor mongoliensis; Illustration von Sweja Boekhoff (EPh)

Für die Kreation von Jurassic Park wollte Regisseur Steven Spielberg eine möglichst akkurate Repräsentation der zu der Zeit bekannten Saurier. Hierzu wurde John Robert (Jack) Horner, ein amerikanischer Paläontologe, besonders bekannt für seine Entdeckung des ersten Saurier-Embryos sowie des Maiasaura, einer Art der Entenschnabeldinosauriern („Gute-Mutter-Echse“), zu den Vorbereitungen für die Dreharbeiten hinzugezogen.

In Jurassic Park wird Dinosaurier-DNA aus dem inneren von in Harz eingeschlossenen Insekten entnommen. So einfach ist es leider in der wirklichen Welt nicht. Nicht nur ist es beinahe unmöglich auch nur irgendeine Spur von DNA aus einem fossilisierten Insekt zu entnehmen, doch selbst wenn einem dies gelingen würde, wäre das einzig DNA-Material, welches man erhalten würde, das des Insekts selbst, nicht das des Tieres, von wessen Blut es sich ernährt hat.

Dennoch wollte Jack Horner die Idee eines lebendigen Dinosauriers nicht loslassen. Er begab sich zusammen mit mehreren anderen Paläontologen auf eine Expedition zur Suche nach der benötigten DNA, jedoch anders als in den Filmen suchte er direkt an der Quelle. Und tatsächlich war diese Expedition erfolgreich, zumindest bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob es überhaupt möglich wäre, so alte DNA zu finden. Einer besonders gut erhaltenen Oberschenkelknochen von einem der gefundenen Tyrannosaurus Rex-Skelett wurde an die Paläontologin Mary Higby Schweizer geschickt, welche tatsächlich etwas in dem Knochen fand. Nach Entfernung der Knochenmaterie von dem für die Untersuchung und Forschung interessanten Teil stellte sich heraus, dass es sich bei dem Gefundenen um die im Knochen enthalten Blutbahnen des T-Rex handelte.

Nach weiteren Forschungen und Versuchen an mehreren, noch besser erhaltenden Knochen und einer Verlagerung des genutzten Labors in das Innere eines Busses direkt an der Ausgrabungsstätte, fand Higby zwar weitere Blutgefäße und sogar in ihnen enthaltende Proteinrückstände, jedoch keine DNA. Es stellte sich heraus, dass diese einfach zu schnell abgebaut wird, so dass es wohl unmöglich ist, sie in Dinosaurierfossilien zu finden.

Jedoch gab ihre Entdeckung dem Team um Horner einen neuen Ansatz zur Entwicklung eines lebendigen Dinos. Die gefundenen Proteine wiesen eine Übereinstimmung mit denen eines schwangeren Vogelweibchens während/nach der Eierproduktion auf. Nicht nur ist dies einer der ersten konkreten Beweise für die Theorie, dass Vögel auf direktem Weg von den Dinosauriern (speziell der Gruppe der Raptoren) abstammen, sondern brachte Horner auch auf eine Idee.

Inzwischen werden Vögel in wissenschaftlichen Kreisen häufig als Vogeldinosaurier (Avian Dinosaurs) bezeichnet. Rein theoretisch leben wir also bereits mit Dinosauriern zusammen. Jedoch ist dies wohl nicht die Art Dinosaurier, die man sich bei dem Wort vorstellt. Doch da Vögel direkt von Dinosauriern abstammen, haben sie noch immer ähnliche Merkmale zu ihren Urahnen. Besonders auffällig ist dies in der Embryonalphase von zum Beispiel Hühnern. Die wohl größten Unterschiede zwischen Dinosauriern und heutigen Vögeln sind wohl die Flügel sowie der nicht vorhandene Schwanz. Beide Körperteile sind jedoch erst ab einem bestimmten Zeitpunkt in der embryonalen Entwicklung vorhanden. Die „Hände“ der späten Raptoren und ersten vogelähnlichen Tiere haben drei Finger anstelle des einen der modernen Vögel. Die Hand eines Embryos ist jedoch beinahe identisch mit der seiner Urahnen. Ebenso verhält es sich mit dem Schwanz, welcher erst nach einiger Zeit mit sich selbst verschmilzt und den schwanzähnlichen Knubbel am Hinterteil von Vögeln bildet.

Dies liegt an den atavistischen Genen, die, weitergegeben von den Urahnen, zwar deaktiviert, doch noch immer in der DNA vorhanden sind. Diese Gene können jedoch durch ausgiebiges Experimentieren und Beobachten von Hühnerembryos über ihre Entwicklung hinaus durch das Hinzugeben von bestimmten Proteinen und RNA-Strängen wieder aktiviert werden. Die Zellwand wird hierbei durch, unter anderem, gezielte Elektrostöße geöffnet, so dass die benötigten Stoffe künstlich hinzugefügt werden können. Dies aktiviert und/oder deaktiviert bestimmte Gene und somit die auf ihnen basierenden Entwicklungsschritte des Embryos.

Durch ein solches Vorgehen ist es mehreren Forschungsteams weltweit bereits gelungen, bestimmte Aspekte des Hühnerembryos wieder zurück zu der ursprünglichen Dinosaurierform zu bringen. So kann der Schnabel in eine Schnauzte mit Zähnen verwandelt und die Beine so umgestellt werden, dass sie das zusätzliche Gewicht eines Schwanzes tragen könnten.

Ein großes Problem stellen jedoch der Schwanz selbst sowie der Zahnschmelz dar. Die jeweils dafür zuständigen Gene wurden im Lauf der Evolution durch neue Gene ausgetauscht und sind so vollkommen aus der DNA verschwunden.

Dies bereitet natürlich große Schwierigkeiten, da unter anderem ein Weg zur Verhinderung des Verschmelzens der Wirbel oder gar zur Vermehrung dieser gefunden werden muss. Genau daran arbeitet das Team um Jack Horner seit einigen Jahren. Jedoch muss nicht nur ein Weg gefunden werden, um die Wirbel zum Bilden eines Schwanzes zu bringen, sondern auch, um dies nach Erreichen der gewollten Länge wieder zu stoppen.

Es wird also wohl noch eine Weile dauern, bis wir einem lebendigen Dinosaurier gegenüber stehen werden.


Quelle:
Jack Horner/James Gorman: How to Build a dinosaur. The New Science of Reverse Evolution, Pinguin Random House 2010.

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