Corid-20

Eine dystopische Kurzgeschichte von Chiara Fleßner (Kl. 8)

Wir schreiben das Jahr 2067. Einige von uns wissen noch, wie es war vor dieser Zeit. Ich bin leider keine dieser Glücklichen. 2020, das Jahr der Krise, das Jahr, das alles änderte. Zunächst hielt ein noch relativ harmloses Virus die Welt in Atem. Die Menschen blieben mit Kontaktverbot und Ausgangssperre zuhause. Doch das Virus mutierte; heraus kam etwas viel Gefährlicheres: Corid-20. Es ist durch die Luft übertragbar und jeder, der sich mit ihm infiziert, stirbt innerhalb von 24 Stunden. Aus diesem Grund versteckten sich alle wohlhabenden Bürger in ihren privaten Schutzbunkern, um nicht angesteckt zu werden. Doch leider erfolglos, denn es dauerte nicht lange, bis ihre Vorräte aufgebraucht waren und sie entweder aus Angst vor dem Virus nicht raus gingen und verhungerten oder raus gingen und starben.

Foto: Chris K. auf pixabay.com

Meine Eltern waren Teil einer Gruppe, die vor der Ausbreitung in ihrem Gebiet bereits einen Notfallplan ausgeklügelt hatten, mit dem sie, sobald das Virus auch ihre Region erreicht hatte, sicher wären. Die Gruppe bestand aus 10 Familien, insgesamt 89 Leuten. Jeder von ihnen kaufte Nahrung, Klopapier, Kleidung und weitere Dinge, die man so benötigte. Dafür ließen sie sich ihr ganzes Geld von den Banken auszahlen. Die anderen aus ihrer Stadt hielten sie alle für verrückt. Als jedoch die ersten Fälle auftraten und der Nah- und Fernverkehr eingestellt wurde, nahm diese Gruppe all ihre Sachen, die sie zum Überleben brauchten und gekauft hatten, hin und wieder auch einige Stücke von persönlichem Wert wie Bilder und Ähnlichem, und verschanzten sich in den U-Bahnstationen. Sie gaben den Menschen eine letzte Chance mitzukommen, bevor sie dann die Eingänge verbarrikadierten. Doch zurück ins Jetzt.

Ich saß in meinem Zimmer, wenn man es so nennen mag. Ein kleiner Raum mit einer Matratze, zwei Schränken und einem Spiegel mitten im Untergrund. „Veronica, könntest du bitte für mich einkaufen gehen?“, hörte ich meine Mutter rufen. „Klar mach ich.“ „Danke, Einkaufsliste liegt auf dem Wohnzimmertisch. Bist ein Schatz!“ Ich ging aus meinem Zimmer hinaus, durch das kleine Wohnzimmer hindurch, nahm den Zettel und ging durch die Tür. Ich stand nun vor den Gleisen, auf dem noch eine U-Bahn vor sich hin rostete, die seid 47 Jahren nicht mehr fuhr. Ich nahm den Weg, den ich immer nahm, einfach an den Schienen entlang. Rund 100 Meter geradeaus und dann links durch den Krater in der Mauer. Hier wurde vor einigen Jahren die Mauer aufgerissen. Ich ging die Treppe hinauf, die man hier gebaut hatte und fand mich vor einer schwarzen Tür wieder, als ich hinter mir eine Stimme vernahm.

„Hey Veronica, warte!“ „Dean, hey, was ist los?“ „Musst du auch gerade Einkaufen gehen?“ Ich nickte stumm. „Gut, denn ich muss dir unbedingt was erzählen.“ Wir gingen durch die eiserne Tür und fanden uns in einem riesigen Kaufhaus wieder. Die Decke war stockdunkel, man hatte alle Fenster und Türen von innen mit einer Betonwand verdeckt, da es so für den Virus keine Möglichkeit gab, hinein zu gelangen. Das Kaufhaus hatte ein großes Lager und einen großen Kaufbereich. Viel war jedoch nicht mehr übrig, immerhin konnte man nichts nachbestellen, es gab jedoch einige unter uns, die Milch, Brot und Weiteres herstellten und es dann einsortierten. Besonders viel Auswahl hatten wir also nicht, aber ich habe sowieso noch nie Dinge wie Hühnerfrikassee gegessen. Nachdem die Vorräte, die zuvor gekauft worden waren, aufgebraucht waren, mussten die Menschen, die hier unten lebten, in die Läden, um sich Nahrung zu beschaffen. Es gibt zu jedem einzelnen Laden, der in dieser Stadt steht, einen Eingang. Als erstes wurden die Restaurants gesichert, da das dort vorrätige Essen am kürzesten haltbar war. Damit die Vorräte für längere Zeit reichten, wurde festgelegt, wie viel sich jede Familie nehmen durfte. So wurde unserer und drei weiteren Familien dieses Kaufhaus überlassen. Mittlerweile leben natürlich mehr Menschen hier unten als vor 47 Jahren, immerhin bin ich erst 20.

„Also, was wolltest du mir denn jetzt so Dringendes sagen?“, fragte ich skeptisch. Wenn Dean etwas Wichtiges zu erzählen hatte, dann hatte es mit Medizin zu tun. Seine Eltern sind Teil der Leute, die versuchen, einen Impfstoff zu entwickeln, sodass wir alle wieder an der Oberfläche leben können. „Mein Vater hat mir im Vertrauen erzählt, dass man heute einen neuen Stoff austesten wolle.“ „Gibt es denn schon Freiwillige? Bei den letzten 20 Impfstoffen sind schließlich viele gestorben“, sagte ich, musste mein Weinen unterdrücken, weil ich an einen im Labor verstorbenen Freund dachte. „Also was das angeht.“ Er senkte sein Blick. „Was? Was ist denn?“, fragte ich. „Ach nichts, ich habe keine Ahnung.“ Das war eine Lüge. Ich bemerke sofort, wenn er lügt, doch ich ließ ihm in dem Glauben, ich würde darauf hineinfallen. Vorerst. Ich machte mich auf in die Brotabteilung. Meine Einkaufsliste bestand aus einer Packung Eier, zwei Broten, zwei Milchtüten, einer Mehl- und einer Zuckerpackung und einer Flasche Öl. „Ich denke, meine Mutter möchte Nudelteig machen, das wird wohl ein Nudelmonat. Schade eigentlich, im letzten gab es Pizza“, sagte ich zu Dean, der nun sehr schuldbewusst dreinblickte. „Echt? Bei uns gab es in diesem Jahr noch keine einzige Pizza und wir haben bereits Dezember.“ Pizza war etwas Seltenes, da man viele Zutaten dafür brauchte und immer frische Tomaten benutzen musste.

Als ich alles zusammengesucht hatte, machte ich mich auf zur Tür. „Warte kurz“, sagte Dean. Ich drehte mich zu ihm um und zeigte ihm ein verschmitztes Lächeln. „Was?“, fragte er verwundert. „Du willst mir endlich sagen, was los ist, ja? Ich merke doch, wenn du lügst.“ Er blickte nun noch schuldbewusster drein. „Spuck’s endlich aus!“ „Na gut. Also, ich weiß nicht recht, wie ich es dir sagen soll.“ „Jetzt rede nicht um den heißen Brei herum“, sagte ich inzwischen etwas genervt. „Naja, also.“ „Dean jetzt mach!“ „Deine Eltern werden heute den Impfstoff testen!“, sprudelte es aus ihm heraus. Mein Lächeln verschwand sofort. „Wie bitte?!“ „Ja, sie meinen, es wäre an der Zeit, dass sie sich fürs größere Wohl opfern.“ Er war sichtlich erleichtert, es endlich los geworden zu sein, und dennoch fühlte er sich auch schuldig, es mir gesagt zu haben.

Ich rannte davon. Er schrie mir hinterher: „Veronica, warte!“, doch ich hielt nicht an. Ich hatte nur eines im Kopf: sie aufzuhalten. Als ich Zuhause ankam, riss ich die Tür auf und rief: „Mum, Dad?! Hallo, ist hier wer?!“ Auf dem Tisch lag ein Zettel, doch ich brauchte ihn nicht lesen, um zu wissen, was drauf stand. Ich rannte in Richtung U-Bahn-Station. Hier mussten sie raus gegangen sein. Doch der einzige Mensch, der hier stand, war Deans Mutter. „Wo sind sie?“, schrie ich ihr panisch ins Gesicht und Tränen liefen mir über die Wangen. Deans Mum schaute mich mitleidsvoll an und nahm mich in den Arm. „Es ist okay“, sagte sie, als ich jämmerlich zu weinen begann.

Ich hab mich in unter einer Decke verkrochen und die letzten 24 Stunden dort verbracht. Meine Nerven lagen blank, als sich plötzlich meine Zimmertür öffnete und meine Eltern im Türrahmen standen. Lachend und zugleich weinend sprang ich auf und fiel ihnen in die Arme. „Mum, Dad?! Ich hatte so eine Angst um euch!“ „Wir sind wieder hier, mein Schatz, und es kommt noch besser“, sagte meine Mutter. In dieser Sekunde realisierte ich es. „Der Impfstoff funktioniert.“ Sie nickte und lächelte mich an. „Wir sind alle gerettet“, sagte mein Vater. Ich strahlte.

Foto: Miriam Möller auf pixabay.com

Kurze Zeit später wurde die erste Dosis des Impfstoffes bereits verteilt. Sie ging an Deans Familie, da diese ihn entwickelt hatte und an mich, da meine Eltern ihn getestet hatten. Überglücklich machten Dean und ich uns auf, die Welt zu erkunden. Es war so aufregend. All die Pflanzen und Häuser und vor allem das helle Sonnenlicht, welches ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich betrachtet die Häuser genauer, blickte durch die Fenster und Türen. Ich schrie auf. In einem dieser Fenster lag ein toter Mensch. Da wurde mir schlagartig etwas bewusst. All die Menschen, die hier oben früher gelebt hatten, waren nun tot und liegen allesamt in ihren Häusern. Und ich lebe und atme gerade mitten unter tausenden von Leichen.

Eine Antwort auf „Corid-20“

  1. Würde jeder Infizierte innerhalb von 24 Stunden sterben, gäbe es keine Pandemie. Das gefährliche an Covid 19 ist ja, dass du eine Woche nach der Infektion andere anstecken kannst und erst zwei Wochen nach der Infektion die ersten Symptome auftreten. Ich denke, würde jeder Infizierte in 24 Stunden sterben, würde der Virus in einer Woche aussterben. (Mit dem erhöhten Infektionsrisiko deines Superviruses mit einberechnet.)

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