Gegen den Hass

Rede zum 80. Jahrestag des Synagogenbrands in Jever (2018), nach stichwortartigen Aufzeichnungen nachträglich verschriftlicht

von Jannes Wiesner (Q2)

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

achtzig Jahre nach den schrecklichen Taten, die gegenüber unseren jüdischen Mitbürgern und Freunden begangen wurden, müssen wir uns einmal mehr die Frage stellen, wie wir mit der daraus resultierenden historischen Verantwortung umgehen wollen. Vor achtzig Jahren wurden in unserer Heimat Taten begangen, die für uns aus der heutigen Perspektive unvorstellbar erscheinen. Die menschliche Würde als Fundament unseres Zusammenlebens wurde untergraben, Anstand und Moral beseitigt und  die Raserei der nationalsozialistischen Terrorideologie manifestiert. Die damals um sich greifenden Hassmechanismen und das daraus resultierende unendliche menschlichen Leid scheinen in keinerlei Bezug zu unserer jetzigen Lebensrealität zu stehen; und doch dürfen wir nicht blind sein und unsere Augen verschließen, vor aggressivem Nationalismus und populistischen Hassparolen, die sich bis heute in unserer Gesellschaft verwurzelt haben.

Redner Jannis Wiesner vor dem Gröschlerhaus Jever, daneben Bürgermeister Jan Edo Albers; Foto: Onno Smid

Wenn ich heute also als Vertreter einer jungen Generation politisches Handeln mitgestalten will, muss ich den Blick in die Vergangenheit richten, um die Zukunft zu gestalten. Sicher wird sich die Geschichte nie wiederholen, menschliches Handeln und Verhaltensmuster werden jedoch auch nach achtzig Jahren Geschichtsaufarbeitung ihr Wesen nicht verändern. Um eben diese Verhaltensweisen einer ganzen Gesellschaft zu verstehen, die nicht nur blind gegenüber den Gräueltaten der Nationalsozialisten war, sondern den Nährboden für den Keim des Hasses und der Gewalt geboten hat, ist eine interaktive und generationengerechte Erinnerungskultur notwendig. Der Imperativ des Erinnerns jedoch stellt ein Hindernis wider Willen zu einer aktiven Erinnerungskultur dar. Niemandem kann vorgeschrieben werden ob und wie er zu gedenken hat, oder wie er mit seiner historischen Verantwortung umzugehen hat. Erinnern und Gedenken sind von individuellen Perspektiven geprägt, die Aufforderung „Geh gedenken!“ stellt daher nie eine angemessene Verhaltensweise im Hinblick auf das Verständnis der eigenen Vergangenheit dar. Wollen wir eine zukunftsorientierte Erinnerungskultur gestalten, so muss eine gesellschaftliche Debatte um die Auseinandersetzung mit Geschichte, Gesellschaft und Politik des Landes mit allen Gesellschaftsschichten betrieben werden. Zu dieser Auseinandersetzung zählt eben auch der sensible Umgang mit Politik und Zeitgeschehen der Gegenwart. Wir leben in einer Gesellschaft, die stolz darauf sein kann in den vergangenen Jahrzehnten den Großteil ihrer historischen Verantwortung anerkannt zu haben, gerade deshalb ist der Kampf gegen neu entstehende Nationalismen verpflichtend.

Nie wieder darf das europäische Haus der Freiheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit durch die Raserei der Ideologien bedroht werden. Nie wieder dürfen Hassprediger und Menschenfeinde unseren politischen Diskurs bestimmen. Nie wieder darf eine Gesellschaft die Augen verschließen, wenn ganze Bevölkerungsteile ihrer Rechte und Würde beraubt werden. Die Würde des Menschen ist unantastbar, für einige jedoch ist sie wieder antastbar geworden. Diesem Phänomen müssen und können wir jeden Tag aufs Neue entgegentreten.

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